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Gemischte Gefühle nach dem Podium „Karriere und Kind(er)“

Aktualisiert: 26. Juni 2020


Karriere und Kind(er) – „Wie geht’s?“ wirft weitere Fragen auf…

Die Unternehmensvertreter erzählten über gute Erfahrungen rund um Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit: flexible Arbeitszeiten, Teilzeit sogar für Führungskräfte, HomeOffice, Frauenförderung, Kinderbetreuung in der Nähe, faire Bezahlung, etc. Die Antwort auf die Frage „Wie geht’s?“ war kurz zusammengefasst:

  1. Unternehmen arbeiten an den Rahmenbedingungen (s.o.), die Politik hat hier jedoch auch noch einiges zu tun (z.B. zum Thema Betreuungsplätze).

  2. Vor allem liegt die Zufriedenheit mit der Vereinbarkeit am eigenen Engagement.

  3. Man sollte sich um UnterstützerInnen und MentorInnen kümmern und gerade rund um Familiengründung Unterstützung in Anspruch nehmen – privat und beruflich.

Soweit, so gut. Ich finde diese Maßnahmen – vor allem im umgesetzten Stadium – richtig gut und damit sind diese Unternehmen schon einmal weiter als der Durchschnitt der deutschen Unternehmen. Trotzdem verließ ich das Podium mit gemischten Gefühlen, die ich zuerst einmal sortieren musste.




Da fehlt etwas!

Die Unternehmen repräsentierten leider nicht das, was wir tagtäglich in unseren Basecamps erleben (und was die Struktur der Podiumszuhörenden potenziell widergespiegelt hatte). Klar, es handelte sich um Arbeitgeber, die Vereinbarkeit als Teil ihrer Employer Branding Strategie erfasst haben (und deswegen auch gerne im Podium standen). Doch auch Eltern von solchen Arbeitgebern sitzen in unserem Workshop (Elternzeit Basecamp) und haben das große Bedürfnis innezuhalten und zu reflektieren. Denn irgendetwas scheint an diesen Maßnahmen zu fehlen…


Zuhören empfohlen: Was sagen die Eltern?


Mir wurde erst im Nachhinein ein wichtiger Punkt klar. Die Unternehmen kennen vielleicht die beruflichen Ambitionen und Wünsche ihrer Eltern. Das reicht allerdings nicht für ein ganzes Bild und nachhaltige Lösungen. Aus diesem Grund war mein Bild der Eltern auch so anders als das, was mir hier vorgestellt wurde.




Wo ist das Mindset der neuen Arbeitswelt?

Ich erhoffe mir eine noch ganzheitlichere Einstellung zum Thema Vereinbarkeit. Vereinbarkeit ist nicht nur die Organisation von Fremdbetreuung und sie hört auch nicht bei Teilzeit auf. Vereinbarkeit ist vor allem ein Mindset. Ist man wirklich wirklich am Menschen und dessen Potenzialentfaltung interessiert? – Das wünsche ich mir für die neue Arbeitswelt. Oder bin ich noch in der Homo Oekonomikus Denke gefangen? Dann brauchen wir tatsächlich auch keine Fragen zu stellen. Die neue Arbeitswelt bedeutet für mich bzgl. Vereinbarkeit:

  1. Unsere aktuelle Elternzeit-Generation ist vor allem dadurch charakterisiert, dass sie alles möchte. Und zwar möglichst perfekt. Das bringt uns jedoch regelmäßig in die Bredouille, denn privates und berufliches Vollgas reißt uns aus dem Gleichgewicht. Das macht innere Verhandlungen zwischen privaten und beruflichen Bedürfnissen umso mehr notwendig. Ein unreflektiertes „Ja“ zu einem verlockenden beruflichen Angebot rund um den Wiedereinstieg ist unter Umständen verheerend und viel zu einfach gedacht. Erfolg ist dann nur oberflächlich. Am Ende steht dann vielleicht sogar ein gefühlter Selbstverrat und/ oder das Burnout – mindestens aber ein schlechtes Gewissen gegenüber KollegInnen und/ oder der Familie sowie Stress in Leben und Arbeit.

  2. „Karriere ist… wenn die Beziehung hält“: das sagte tags zuvor Volker Baisch der Väter gGmbH auf dem Event „Arbeit und Leben 4.0″ in München. Gute Energie sowie Stress übertragen sich vom Privaten ins Berufliche und andersherum. Es ist daher in Maßen auch das Interesse des Arbeitgebers, dass die privaten Rahmenbedingungen passen.

  3. Das Verschwimmen von Arbeiten und Leben ist heute bereits Fakt und für die Zukunft sicher noch selbstverständlicher. Das sollte ko-kreativ aufgenommen werden.

  4. Gedanken und Gespräche über die reine Gestaltung der beruflichen Karriere sind zu wenig, denn sie stehen unter Umständen im inneren Konflikt mit den Bedürfnissen im privaten Bereich. Wenn dieser nicht erkannt und benannt ist, wird er stetig für Unruhe sorgen.

  5. Für eine wirkliche Vereinbarkeit muss die Person mit beruflichen und privaten Zielen und Träumen gesehen und auch gewertschätzt werden. D.h. auch die Perspektive der Kinder und die der Eltern in genau dieser Rolle sind wesentlich.

  6. Nicht weiter machen wie bisher. Ein Kind oder Kinder verändern die Bedürfnisse der neuen Eltern – immer! Im Rahmen entsprechender Rahmenbedingungen können sie Ideen auf der Basis der (neuen) persönlichen und beruflichen Ziele generieren. Dafür muss der Arbeitgeber offen genug sein: Zuhören – auf Augenhöhe.

  7. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Ist er glücklich, gesund und zufrieden, engagiert er sich gerne im Job und in der Familie. Karriereentwicklung ist nur ein Baustein, Persönlichkeitsentwicklung dagegen übergeordnet. Der Arbeitgeber sollte zur Frage ermutigen: „Wie willst Du wirklich wirklich leben und arbeiten?“

  8. Ein neutraler Raum für die Gedanken zur Gestaltung von Leben und Arbeit ist unersetzbar. Diesen Raum sollte sich jede(r) je nach Geschmack organisieren. Wir bieten hier seitens elterngarten sicher eine gute Option.



Konflikt der Haltungen – Woher die gemischten Gefühle kamen

Ich ziehe hier zwei Situationen aus dem Podium, mit denen ich am meisten gehadert habe. Sie sollten aus der Sicht der neuen Arbeitswelt überdacht werden und meine oben aufgelisteten Punkte etwas mehr mit Gedanken und Leben füttern.


Erstes Beispiel: Umgang mit persönlichen Interessen


Gespräch und Kontakthalten finde ich sehr wichtig. Allerdings birgt es aus ganzheitlicher Sicht eine Gefahr: die Mutter sagt „ja“ mit bitterem Beigeschmack. Das schreibe ich aus Erfahrung in unseren Basecamps. Die werdenden Eltern sind bei uns, weil sie sich im Unternehmenskontext nicht ganz treu geblieben sind. Es ist systembedingt schwer, unmöglich oder einfach auch nicht gewünscht, mit der personalverantwortlichen Person die eigenen privaten Bedürfnisse zu erkennen und zu benennen. Dies gehört zur alten Arbeitswelt und hat zu viel mit Leben und zu wenig mit Arbeiten zu tun. Daher haben wir schon oft Eltern bei uns sitzen, die einen bewusst ganzen Blick auf Kinder und Karriere werfen möchten.  Natürlich muss der Mitarbeitende nicht alle privaten Geschichten auspacken. Doch der Arbeitgeber sollte auch daran interessiert sein, dass die Beschäftigten ihre Entscheidungen auf eine stabile Basis gestellt haben – und dazu gehören sowohl private als auch berufliche Faktoren. Nur so kann Stressübertragung vermieden werden und Leben und Arbeiten mit Kindern und Karriere stehen auf gesundem Grund.


Zweites Beispiel: Umgang mit Elternzeit

Eine Unternehmensvertreterin erzählte im Podium mit einer Spur von Stolz, dass in ihrem Unternehmen viele Mütter keine oder wenig Elternzeit nehmen möchten. Natürlich hier erst mal das Lob dafür, dass die Bezahlung hier voraussichtlich sehr gut ist und sich Eltern überhaupt für diese Konstellation entscheiden können. Doch trotzdem: Ich bin auf dem zweiten Blick skeptisch, wenn ein Unternehmen sich damit brüstet, dass die Eltern, bzw. speziell Mütter, dort wenig oder keine Elternzeit nehmen wollen. Mich würden die Motive dahinter interessieren. Ist es wirklich der Spaß am Job und die gute Bezahlung? Oder ist es die Angst davor für ein paar Monate nicht sichtbar zu sein? Etwas zu verpassen? Danach abgestempelt zu sein? Die Angst vor einem „Karriereknick“? Allgemein finde ich hier das „Problem“ Elternzeit nur verlagert und nicht kreativ angegangen. Das Potenzial der Elternzeit, nämlich eine gesunde Basis fürs Arbeiten und Leben zu bauen, von der sowohl Arbeitgeber als auch Beschäftigte profitieren, wurde unter Umständen konterkariert.


Fazit

Der Begriff „Vereinbarkeit“ umfasst eigentlich das Leben und das Arbeiten, die Familie und den Beruf, Kinder und Karriere. Wenn Unternehmen von Vereinbarkeit sprechen, meinen sie jedoch bewusst überspitzt formuliert oft nur die berufliche Perspektive und das bestmögliche „Wegorganisieren“ der privaten „Störfaktoren“.

Am Ende stehen die Eltern doch noch ziemlich alleine da, wenn es um den Bau einer gesunden und nachhaltigen Basis für Leben und Arbeit geht. Ich glaube, es hätten alle mehr davon, wenn die „Stakeholder“ in einer so bedeutenden Lebensphase wie der Familiengründung mit offenen Karten spielen könnten. Ich hoffe, dass wir diesen ehrlichen und authentischen Weg finden – auf Augenhöhe und durchs Zuhören auf menschlicher Ebene. Mit elterngarten leisten wir hier einen ersten Beitrag.

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