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Wieviel Beruf darf in die Elternzeit?

Aktualisiert: 26. Juni 2020

Vereinbarkeit von Beruf und Familie – das habe ich in konzentrierter Form im Rahmen eines Workshops mit einem einstündigen Business-Spiel erlebt. Das Tolle an Business-Spielen ist ja das direkte Erleben und Erfahren in einem sonst künstlichen und ungefährlichen Terrain. Im Nachhinein finde ich das Erlebte total erhellend und auch irgendwie krass, welche Erkenntnisse so eine kurze Inszenierung hervorbringen kann.



Zusage mit Einschränkung

Ich war mir bis kurz vor der Abfahrt noch nicht sicher. Dass ich 15-21 Uhr nicht komplett mitmachen werde war schon klar. Der Organisator – ganz agil – fand es gut, dass wir es einfach probieren wollten und uns vorerst nur für die ersten 2-3 Stunden eincheckten.

Für die normalerweise halbstündige Anfahrt nahm ich mir eine gute Stunde Zeit. Was auch gut war, denn die Kleine mag kein Autofahren. Und zwischendurch hielt ich an um zu stillen und zusätzlich gab es auch noch einen Stau. Das alles haute aber gerade so genau hin, dass sie pünktlich um 15 Uhr zum Start des Workshops im Tragetuch einschlief.


Wieviel kann ich erwarten?

Ich versuchte vorab ein Erwartungsmanagement mit mir selbst. Wichtig ist, dass sich die Kleine wohl fühlt, bei Mama sein darf und wenn dann noch was übrig bleibt, freue ich mich über eine aktive Teilnahme an der Runde. Das war zumindest die Oberfläche.



Tanja mit 2-monatiger Tochter im Tragetuch


Untendrunter hörte ich ein Stimmen-wirr-warr in mir: so ganz rein war das Erwartungsmanagement nicht. Da war schon jemand in mir, die gerne bis zum Schluss teilnehmen wollte. Darauf reagierte eine empörte Mutter in mir, die eigentlich alles von vornherein als Schnapsidee abtat und nur widerwillig mitkam. Dann gab es noch einen Teil in mir, der extrem neugierig auf die Leute in diesem Kreis war und so viel wie möglich Netzwerken und Mit-gestalten wollte – am besten alles nach- und vorholen, was aus seiner Sicht zu kurz kommt zurzeit. Auf dieses Stimmen-Wirr-Warr reagierte wieder ein Anteil, der unsicher über dieses Vorhaben war und lieber einfach außen vor stehen wollte mit dem Ergebnis, dass sich jemand meldete, die sich als Außenseiterin irgendwie hilflos und überflüssig fühlte. Meine Sonderrolle war einfach klar und ich hatte große Mühe, meine vielen Erwartungsträger zu sehen, zu hören und irgendwie ein Vorgehen auszuhandeln, das jedem gut tat und nach außen auch noch einen Beitrag leisten konnte. Vereinbarkeit live, und es kam noch besser… Was ich bis hierhin jedoch schon feststellen konnte: es ist nie ein entweder-oder. Die fürsorgliche Mama ist da UND die neugierige Netzwerkerin, die lernwillige Beraterin, die gewissenhafte Professionelle.


Es geht los, wie läuft’s?

Schon bei der Einführung und Vorstellungsrunde war ich unentspannter als normal. Jederzeit könnte die Kleine doch wach werden und dann würde ich spontan etwas anderes machen als teilnehmen.

Das Stimmen-Wirr-Warr setzt sich fort: die sich Absichernde (war es wirklich okay, das Baby dabei zu haben?), die Dankbare (ja es ist okay, die anderen fanden es sogar eher cool so ein kleines süßes Baby mit dabei zu haben), die Ungeduldige (lasst uns jetzt endlich loslegen, jetzt geht es noch, gleich eventuell nicht mehr)…

Und dann wurde es richtig spannend. Wir starteten mit dem „Ubongo Flow Game“. Das Spiel hat drei Durchläufe und simuliert pro Durchlauf unterschiedliche Unternehmenssysteme: ein klassisches, Kanban (also schon etwas agiler) und ein agiles Arbeitsumfeld. In unserer 10-köpfigen Runde in zwei Teams legten wir bei den Durchläufen neben den üblichen Spielerkenntnissen auch einen Fokus auf unsere Innenwelt. Wie erleben wir die jeweiligen Systeme innerlich, welche Auswirkungen hat das Erlebte auf unsere Emotionen und Reaktionen und Wechselwirkungen mit unseren KollegInnen.


Das Ubongo Flow Game

Schon bei der Rollenverteilung für die erste Runde wurde ich als Mama mit Kind einer Rolle zugeteilt, die nur am Ende den Stand des Teams kommunizieren sollte und (vorerst) keinen Einfluss auf den Erfolg des auf Zeit arbeitenden Teams hatte. Klar gab es in mir Anteile, die gerne eine aktivere Rolle gehabt hätten. Die Unsichere fühlte sich direkt abgestempelt und herabgesetzt. Jedoch war klar: geht nicht mehr, wenn sie wach wird… Und die aufgewachten Selbstwert hinterfragenden Anteile in mir beruhigten sich wieder. Ich hielt mich auch selbst zurück, die Mama in mir war zufrieden und relaxed und war dankbar für meinen unauffälligen Platz. Meine professionellen Anteile beobachteten jedoch sehr genau die anderen und ich bemerkte in mir auch einen Besserwisser (ich könnte es besser, kann der das Kind nicht mal kurz nehmen?) und Regelbrecher (können wir das hier nicht anders machen, das ist doch völlig ineffizient!). Großes Kino in mir!

Am Ende der ersten Runde kommunizierte ich den Teamstand, das Töchterchen war mittlerweile wach, was die fürsorgliche Mutter zunehmend stresste. Sie wollte einfach Ruhe für Mutter und Kind und wäre sofort nach Hause gefahren. Die Professionelle handelte aber ein Bleiben bis auf Weiteres erfolgreich aus. Das war dann okay, ich versprach der Mama in mir einen extra-kuscheligen Abend zu Hause. Insgesamt war ich unzufrieden mit meiner Leistung und auch der des Teams, fühlte mich eingeengt und spürte sogar eine Genervtheit gegenüber diesen starren Regeln der ersten Runde. Ich wusste, dass es ein Spiel wird und dachte, es kann nur besser werden. Wenn ich es noch erlebe…

Die zweite Runde startete. Ich war wieder in meiner hintergründigen Rolle, da das Team jedoch schon flüssiger arbeiten konnte, hatte ich am Ende immerhin etwas mehr zu rechnen. Gleichzeitig stillte ich die Kleine mittlerweile und passte auf, dass mein Tragetuch nicht auf den Boden fällt, das Mützchen nicht zu stark verrutscht und ausreichend viel meiner stillenden Aktivität einfach unsichtbar blieb. Die Mama in mir war weiterhin zunehmend gestresst. Die Professionelle in mir zunehmend ambitioniert. Mein innerer Konflikt spitzte sich zu. Denn das Team wuchs rasant schnell zusammen und meine Rolle wurde einfach wohlwollend akzeptiert. Ich wäre gerne aktiver für die Gruppe gewesen, doch war ich froh überhaupt dabei gewesen zu sein und kam damit klar, nicht high-performing aufzufallen, wie es sicher gerne eine meiner Professionellen Anteile getan hätte. Die Reflektionsrunde war interessant. Jeder Teilnehmer fühlte sich freier, das gab Kanban schon mal her. Mir fällt im Nachhinein aber stark auf, dass ich mein Feedback eigentlich nur aus der Perspektive der Professionellen gegeben hatte. Dabei hatte ich schon gefühlt einen großen wichtigen Anteil in mir ausgelassen, was mich verunsicherte und mir auch die Kraft für die Stimme der Professionellen nahm.

Dritter Durchlauf: nun konnten wir im Team unsere eigenen Regeln aufstellen. Der Energielevel stieg rasant nach oben. Auch wenn meine Kleine jetzt hellwach war, jetzt durfte ich auch aktiver werden. Die Mama in mir passte auf die Kleine auf, die Professionelle legte los und übernahm Aufgaben, die gerade dran waren. Mit Kind auf dem Arm war ich weniger beweglich zum Legen von Karten und Platten. Aber ich konnte Muster suchen und finden und mein Beitrag war hier sicher größer als bei den vorangegangenen Durchläufen. Bei der Reflektion des Durchlaufs wurde festgestellt, dass wir so agil die beste Leistung erbrachten. Das Team war froh um meinen Beitrag und niemand hatte bewusst gemerkt, dass ich nebenbei auch noch mit dem Töchterchen beschäftigt war.


So war es definitiv nicht geplant gewesen

Ich dachte meine Tochter würde länger schlafen und ich könnte mehr „Vollzeit“ dabei sein. Statt dessen habe ich eine Teilzeit-Erfahrung während des Business-Spiels erlebt. Eigentlich wie im richtigen Leben. Da passiert mit Kindern ja auch immer etwas, was die Pläne kurzfristig ändert.

Ich war als Expertin eingeladen und wollte auch als solche teilnehmen. Damit war die Mutter in mir auch voll einverstanden. Das Baby dabei wollte ich jedoch unbewusst eher verstecken („schläft ja nur, spielt keine Rolle“). Doch es spielte eine große Rolle. Ich wurde als Mutter UND Expertin herzlich begrüßt und wahrgenommen und auch das Baby hat schon während des Business-Spiels eine klare wichtige Rolle eingenommen. Während wir unsere Innenwelten reflektierten war IMMER auch die Mutter dabei, die sich gut oder schlecht fühlte. Diese Rolle befand sich neben der Expertin auf Augenhöhe, und spielte bei allen internen Verhandlungen eine wichtige Rolle.


Meine Erkenntnisse

Mein größter Beitrag war also im agilen Arbeitsumfeld möglich. Im Team verteilten wir uns so, wie wir uns im Moment am besten aufstellen konnten und ich machte das, was in meiner „Teilzeit“ möglich war. Jeder im Team spürte den erhöhten Energielevel und uns allen machte die Arbeit Spaß. Jeder von uns übernahm in seinem/ ihren Rahmen Verantwortung fürs Ziel und – eine tolle Erfahrung – auch füreinander. Es wurde gar nicht erwartet, dass ich das Baby verstecke! Ich war einfach da, mit Baby, und wir konnten meine Rolle einfach im Dienste des Ziels anpassen.

Wir konnten uns alle mit dem gemeinsamen Ziel identifizieren und unser jeweiliger Eigenantrieb fügte sich gefühlt perfekt in die Zielerfüllung.

Eine weitere tolle Erfahrung war die offene Reflektion unserer jeweiligen Innenwelten. Jeder fühlte sich mal dumm oder unzureichend, ungeduldig oder überfordert. Durch unsere Offenheit miteinander wuchsen wir schnell zusammen, was unser Selbst- und das Gruppenbewusstsein steigerte. Dies hatte große Auswirkungen auf unsere Lernkurve und das Endergebnis unserer Gruppenarbeit.


Wieviel Beruf passt in die Elternzeit?

Jederzeit würde ich wieder ein solches „Experiment“ wagen. Denn in der Elternzeit habe ich weiter meine professionellen Seiten, die auch ein bisschen Futter brauchen. Das tut der Mama in mir sicher nicht weh! Ich konnte einen Beitrag leisten, habe tolle Leute wiedergetroffen bzw. kennengelernt und auch die Erfahrung gemacht „trotz“ Baby willkommen und integriert zu sein. In drei Wochen nehme ich an einem Zertifikationsmodul einer eineinhalbjährigen Coaching-Weiterbildung teil. Das Töchterchen kommt natürlich mit und ich bin gespannt, wie das funktionieren wird. Dankbar bin ich für die Möglichkeit meine Tochter nicht frühzeitig fremdbetreuen lassen zu müssen und trotzdem nicht ausgeschlossen zu werden von beruflicher Weiterentwicklung. Denn sowohl die Mutter als auch die professionellen Seiten haben in meinen internen Verhandlungen ihre Stimmen, zurecht. Sie dürfen gemeinsam kreativ werden, welche Möglichkeiten wir haben. Und Möglichkeiten gibt es! Ich wünsche allen Eltern in Elternzeit ähnliche Erfahrungen und Arbeitgeber und professionelle Kreise, die diese „Experimente“ zulassen.

Danke Christian Macke für Deine Einladung. Danke an Dietz-Training für Eure Offenheit!

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